ALARMSTUFE ROT!
Hochrisiko „faktischer Anstellungsvertrag“ für GmbH-Geschäftsführer
Der Geschäftsführervertrag ist die rechtliche Existenzgrundlage jedes Geschäftsführers und jeder Geschäftsführerin. Hier ist nicht nur das Gehalt geregelt, sondern auch der Urlaub, die Altersversorgung, der Dienstwagen und alle sonstigen finanziellen Leistungen. Der Geschäftsführervertrag legt aber auch fest, was im Falle einer Kündigung gilt, gleichgültig ob seitens der Gesellschaft oder des Geschäftsführers: wie lang ist die Kündigungsfrist, hat die Gesellschaft eine Abfindung zu bezahlen, besteht ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot?
Auf den Geschäftsführervertrag als rechtliche und wirtschaftliche Existenzgrundlage kann man sich aber nur verlassen, wenn er rechtswirksam abgeschlossen wurde. Daran fehlt es beim sog. faktischen Dienstvertrag (auch als fehlerhafter Dienstvertrag bezeichnet).
Wie entsteht ein faktischer (fehlerhafter) Geschäftsführervertrag?
Unter einem faktischen Geschäftsführervertrag versteht man einen Anstellungsvertrag zwischen GmbH und Geschäftsführer, der rechtliche Fehler enthält und deshalb nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Der Fehler, der den Geschäftsführervertrag zum nur faktischen, also rechtlich nicht bindenden Vertrag macht, liegt im Mangel der Vertretung der Gesellschaft. Um diesen Vertretungsmangel zu verstehen, muss man sich die rechtliche Ausgangslage beim Abschluss von Anstellungsverträgen mit der GmbH vor Augen halten:
Schließt eine GmbH einen Anstellungsvertrag mit einem Arbeitnehmer (Arbeitsvertrag) ab, so handelt die GmbH dabei durch ihren gesetzlichen Vertreter. Den Arbeitsvertrag unterzeichnet für die GmbH also der Geschäftsführer. Mit Unterzeichnung durch den Geschäftsführer (für die GmbH) und den Arbeitnehmer (für sich selbst) ist ein wirksamer Arbeitsvertrag zustande gekommen.
Anders beim Anstellungsvertrag zwischen GmbH und Geschäftsführer (Dienstvertrag). Hier ist die Besonderheit zu beachten, dass für den Abschluss von Anstellungsverträgen zwischen einer GmbH und ihren Geschäftsführern nicht – wie für den Abschluss von Arbeitsverträgen – die Geschäftsführung zuständig ist, sondern die Gesellschafterversammlung der GmbH. Die Zuständigkeit für Geschäftsführerverträge wird sozusagen eine Stufe nach oben gerückt. Nicht die Geschäftsführer selbst als diejenigen, welche die GmbH normalerweise gesetzlich vertreten, sind zuständig, sondern die übergeordnete Instanz derjenigen, denen die Gesellschaft gehört.
Wird ein Geschäftsführervertrag abgeschlossen, für den auf Seiten der Gesellschaft nicht die Gesellschafter unterschreiben, sondern ein (oder mehrere gesamtvertretungsberechtigte) Geschäftsführer, so ist die GmbH bei diesem Vertragsschluss nicht wirksam vertreten. Aufgrund dieses Vertretungsmangels entsteht ein fehlerhafter oder faktischer Dienstvertrag. Ein solcher faktischer Geschäftsführervertrag entsteht also, wenn Sie als neuer Geschäftsführer den Anstellungsvertrag für sich selbst unterschreiben und für die GmbH ein anderer Geschäftsführer unterzeichnet (in der falschen Annahme, er sei als gesetzlicher Vertreter der GmbH hierfür zuständig).
Woraus ergibt sich die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für den Abschluss von Geschäftsführerverträgen mit der GmbH?
Dass für den Abschluss von Geschäftsführerverträgen mit einer GmbH nicht die übrigen Geschäftsführer zuständig sind, sondern die Gesellschafter, steht nicht im Gesetz. Das GmbH-Gesetz bestimmt in § 46 Nr. 5 GmbHG lediglich, dass der Gesellschafterversammlung die Aufgaben der Bestellung, der Abberufung sowie der Entlastung von Geschäftsführern zustehen. Bestellung und Abberufung betreffen aber nur die korporative Organstellung, nicht ihre vertragliche Grundlage, den Dienstvertrag. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erstreckt sich die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung aber auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung auf den Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Geschäftsführeranstellungsverträgen (sog. Annexkompetenz der Gesellschafterversammlung).
Welche Folgen hat ein faktischer Geschäftsführervertrag für mein Gehalt?
Ist Ihr Geschäftsführervertrag fehlerhaft, so bedeutet das nicht, dass sie die auf dieser fehlerhaften Vertragsgrundlage erhaltene Vergütung zurückbezahlen müssen. Dass Ihr Geschäftsführervertrag nicht rechtswirksam zustande gekommen ist, führt auch nicht dazu, dass Sie für Sorgfaltspflichtverletzungen bei Ihrer Arbeit nicht regresspflichtig gemacht werden können. Der fehlerhafte Geschäftsführervertrag wird vielmehr so lange als wirksam behandelt, wie er von GmbH und Geschäftsführer „gelebt“ wird. Solange den Beteiligten der Vertretungsmangel beim Abschluss des Vertrages nicht bewusst geworden ist und sie irrtümlich von einem rechtswirksamen Vertrag ausgehen, bestehen auch gegenseitig die Rechte und Pflichten aus dem vermeintlich wirksamen Vertrag. Die Rechtsprechung bezeichnet dies als „schwebend unwirksamen“ Vertrag. Solange sie Ihre Tätigkeit als Geschäftsführer ausüben, haben Sie also auch Anspruch auf das vertraglich vereinbarte Gehalt und die Gesellschaft kann umgekehrt von Ihnen die Erfüllung ihrer Pflichten als Geschäftsführer verlangen.
Wie lange gelten die Regelungen eines faktischen Geschäftsführervertrages?
Der faktische Geschäftsführervertrag entfaltet so lange rechtliche Wirkung, wie beide Parteien sich an ihn gebunden fühlen. Mit anderen Worten: solange weder der Gesellschaft noch dem Geschäftsführer die Fehlerhaftigkeit des Vertrages bewusst geworden ist und sich keiner auf die Fehlerhaftigkeit beruft, müssen sich beide Parteien auch an die Regelungen des fehlerhaften Vertrages halten. Aber: Das faktische Anstellungsverhältnis kann für die Zukunft jederzeit auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aufgelöst werden!
Die Leitsätze des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 03.07.2000 (Az. II ZR 282/98) sagen es in unmissverständlicher Deutlichkeit:
Ein unwirksamer Geschäftsführeranstellungsvertrag ist (…) für die Dauer der Geschäftsführertätigkeit als wirksam zu behandeln. Er kann für die Zukunft jederzeit aufgelöst werden.
Die schwebende Unwirksamkeit des faktischen Geschäftsführervertrages stellt deshalb ein veritables Existenzrisiko für jeden Geschäftsführer und jede Geschäftsführerin dar. Laufen die Geschäfte wegen Corona, des Ukraine-Krieges oder aus welchen Gründen auch immer nicht wie gewünscht und möchten sich die Gesellschafter deshalb von ihrem Geschäftsführer trennen, haben Sie bei einem faktischen Geschäftsführervertrag leichtes Spiel: Sie muss sich nicht an vereinbarte Laufzeiten, Kündigungsfristen oder zugesagte Abfindungszahlungen halten. Sie kann sich – wie es der BGH ausdrückt – ohne weiteres und jederzeit von dem fehlerhaften Geschäftsführervertrag lösen. Hierfür genügt eine formlose Lösungserklärung.
Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung in einem neueren Urteil vom 20.08.2019 – Aktenzeichen II ZR 121/16 – ausdrücklich bestätigt. Im entschiedenen Fall war der Geschäftsführervertrag unwirksam, weil er für die Gesellschaft nur vom Vorsitzenden des für Anstellungsverträge zuständigen Aufsichtsrats unterschrieben worden war, das Aufsichtsratsgremium aber keinen Beschluss hierüber gefasst hatte. Der Vertrag war deshalb zwar für die Dauer der Tätigkeit des Geschäftsführers so zu behandeln, als wäre er wirksam zustande gekommen. Er konnte aber für die Zukunft jederzeit auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes aufgelöst werden.
Wie steht es mit Treu und Glauben?
Ist es denn nicht treuwidrig, wenn die Gesellschaft meinen Geschäftsführervertrag einfach so von heute auf morgen beendet und die Gehaltszahlungen einstellt, wird man sich als Betroffener Geschäftsführer fragen. Die Antwort des BGH auf diese Frage ist unerfreulich. Als treuwidrig stuft er die sofortige Lösung der Gesellschaft vom fehlerhaften Geschäftsführervertrag nur in extremen Fällen ab, deren Voraussetzungen er in den bisher entschiedenen Fällen noch bei keinem Geschäftsführer für gegeben angesehen hat. Auch eine Heilung des Vertretungsmangels durch Bestätigung des Geschäftsführervertrags scheitert nach Auffassung des BGH schon daran, dass die kein entsprechendes rechtsgeschäftliches Bewusstsein gehabt haben, wenn sie etwa eine Gehaltserhöhung vereinbaren, aber Ihnen der Vertretungsmangel dabei nicht bewusst ist. Auch Treu und Glauben hilft Geschäftsführern bei faktischen Dienstverträgen also nicht.
Was tun, wenn ich erkenne, dass mein Geschäftsführervertrag fehlerhaft ist?
Wenn Sie erkennen, dass die Gesellschaft beim Abschluss Ihres Geschäftsführervertrages nicht wirksam vertreten war, sei es, dass nicht sämtliche Gesellschafter für die GmbH unterschrieben haben oder nur einer von mehreren Gesellschaftern unterschrieben hat und kein Zustimmung der Beschluss der Gesellschafterversammlung vorliegt, so ist guter Rat teuer. Zunächst ist Ihre Interessenlage zu klären. Dabei gibt es verschiedene Optionen:
1) Absicherung Ihres Geschäftsführervertrages
Im Normalfall wollen Sie sich Rechtssicherheit für die Zukunft verschaffen. Der Vertretungsmangel bei der Vertragsunterzeichnung soll also geheilt werden. Hierfür bedarf es einer Bestätigung des fehlerhaften Vertrages. Diese Bestätigung muss von beiden Vertragsparteien erklärt, also von Geschäftsführer und Gesellschaft. Aus der Bestätigungserklärung muss eindeutig hervorgehen, dass sich die Parteien des Vertretungsmangels bewusst geworden sind.
2) Lösung vom faktischen Geschäftsführervertrag
In bestimmten Situationen kann auch der Geschäftsführer ein Interesse daran haben, sich ohne weiteres sofort von seinem Geschäftsführervertrag zu lösen. Das ist etwa der Fall, wenn in seinem Vertrag eine lange Festlaufzeit vereinbart ist, er aber die Chance erhält, kurzfristig das bessere Angebot einer anderen Gesellschaft anzunehmen. Dann ist das Berufen auf den nur faktischen Geschäftsführervertrag der rechtliche „Goldstandard.“ Die einfache Lösungserklärung gegenüber der Gesellschaft genügt, um sofort frei für neue Aufgaben zu sein.
Also:
Vergewissern Sie sich, dass Sie einen rechtswirksamen Geschäftsführervertrag haben. Und nicht nur ein faktisches Dienstverhältnis – mit fatalen Folgen!